Hi Julia, wer bist du und was machst du? |
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Ich arbeite seit 4 1/2 Jahren als Datenanalystin / Data Scientist bei der VReG. Meine Aufgabe ist es, aus unserem riesigen Datenschatz wertvolle Informationen heraus zu filtern und so aufzubereiten, dass sie für die interne Steuerung und Planung oder auch für eine optimale Kundenansprache genutzt werden können.
Ich bin 40 Jahre alt und neben meinem Job noch Mama, Ehefrau, Hausfrau, Hunde- und Kaninchenbesitzerin und Freizeitreiterin. Langweilig wird es bei mir also nie :)
Bevor du bei uns deine Berufung als Data Scientist gefunden hast, warst du lange in der Forschung. Woran hast du geforscht und was hat dich daran begeistert? |
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Genau, ich habe Volkswirtschaft studiert und habe dann am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut zu Themen der Regionalentwicklung und Klimaanpassung geforscht. Ich habe in meiner Arbeit immer den Anwendungsbezug gesucht. Natürlich habe ich auch viel Zeit im stillen Kämmerlein verbracht, aber besonders Spaß gemacht hat es mir gemacht, Forschung und Praxis zusammen zu bringen. Als ich vor 15 Jahren angefangen habe, war es noch nicht selbstverständlich, dass Wirtschaftswissenschaftler Teil von Projekten zur Klimaanpassung waren. Wir haben mit Biologen, Landwirtschaftsvertretern, Wasserbauingenieuren, Sozialwissenschaftlern und anderen Fachrichtungen zusammengearbeitet, in der Metropolregion Hamburg, aber auch in weltweiten Kooperationen. Wir mussten in den Projekten anfangs erst einmal lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen (ja, auch zwischen Fachrichtungen kann es enorme sprachliche Missverständnisse geben) und haben dann Schnittstellen erkannt und daraus neue, wertvolle Erkenntnisse gewonnen.
Obwohl immer mehr Frauen ein Studium abschließen und anschließend promovieren, sind sie in der Forschung (vor allem auch in Führungspositionen) unterrepräsentiert. Kannst du dir vorstellen, woran das liegt? |
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Die Gründe sind sicherlich vielfältig und vor allem aus der Historie bedingt. Ein großes Problem ist, denke ich, dass wichtige Grundlagen für eine weitere wissenschaftliche Karriere nach der Promotion mit dem Zeitpunkt zusammenfallen, an dem viele Frauen Kinder bekommen. So war es auf jeden Fall bei mir. Wenn man auf eine Professur hin arbeitet, muss man nicht nur zeitliche sondern auch räumliche Flexibilität mitbringen. Als ich Mutter wurde, ist die Bereitschaft dazu bei mir deutlich gesunken.
Während meiner Zeit in der Wissenschaft habe ich mich als Frau nie direkt diskriminiert gefühlt. Nun bin ich ja auch aus der wissenschaftlichen Karriere ausgestiegen, bevor es in Richtung Führungsposition ging. Ich habe aber ehemalige Kolleginnen, die weiterhin erfolgreich eine Laufbahn in der Forschung verfolgen. Man muss sich seinen Platz als Frau in Männerrunden manchmal schon erarbeiten. Dabei ist es aus meiner Erfahrung nicht so, dass die Qualität der Arbeit in Frage gestellt werden. Es sind zum einen manchmal eher die Themen, mit denen Frauen sich beschäftigen oder die Herangehensweise, die noch nicht so hohes Ansehen genießen. Zum anderen werden Stärken der Frauen, wie beispielsweise Kooperationsfähigkeit, oft als Schwäche gewertet, wobei Durchsetzungsfähigkeit in Konkurrenzsituationen eher belohnt werden.
In der Szene wird immer wieder von der leaky pipeline gesprochen, also dem Phänomen, dass Frauen ab einem gewissen Punkt aus der Forschungskarriere aussteigen. Der Grund liegt vor allem in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hast du Ideen, was passieren muss, damit beides unter einen Hut passt? |
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Ja, ich denke, die Strukturen in der Arbeitswelt und eben auch in der Forschung sind oft nicht an die Bedarfe von Frauen angepasst, insbesondere wenn sie Kinder haben. Wir Frauen neigen, glaube ich, zu oft dazu, uns an die Strukturen anzupassen und uns zu verbiegen, damit wir anerkannt werden. Auch wenn man das Glück hat eine gute Kita oder Schule für die Kinder zu haben, läuft es gerade mit kleinen Kindern ja selten so wie geplant. Ein Kind wird krank, einer nach dem anderen steckt sich an,... Frauen sind da in der Regel immer noch diejenigen, die den Hauptanteil der Care Arbeit in der Familie übernehmen. Aber die fantastische Erkenntnis, die ich aus der Zeit als berufstätige Mutter gewonnen habe, ist, dass ich ein Organisations- und Improvisationstalent habe, von dem ich gar nicht wusste, dass es in mir schlummert. Und das sehe ich bei so vielen Frauen um mich herum. Wenn Arbeitszeiten zeitlich und räumlich flexibel sind, Meetings nicht in die Kinderbetreuungzeiten gelegt werden und auch neue Formen der Ausgestaltung von Führungspositionen angegangen werden (beispielsweise Teilung einer Stelle), dann wäre das schon eine große Hilfe für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Damit einhergehen muss natürlich auch die wirkliche Anerkennung der Care Leistung der Frauen.
Die Bereiche in denen Frauen und Männer forschen sind noch immer sehr unterschiedlich. Vor allem der MINT-Bereich und auch die Wirtschaftswissenschaften, aus dem ja auch du kommst, ist noch immer männerdominiert. Konntest du das auch beobachten? |
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Unter den Studierenden und später den Promovierenden war das Verhältnis relativ ausgeglichen. Zumindest war das mein Gefühl, nachgezählt habe ich nicht. Je weiter man die Karriereleiter nach oben blickt, kann ich das aber schon bestätigen.
Was muss passieren, um mehr junge Mädchen für MINT Berufe und Wirtschaftswissenschaften zu begeistern? |
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Hier kann man sicherlich vielfältig ansetzen. Aber ich denke, ein Schlüssel bei jungen Menschen sind immer auch Vorbilder, die sich positiv auf das Selbstvertrauen und die Motivation auswirken. Weibliche Rollenvorbilder fehlen in diesen Bereichen noch zu oft.
Auch bei uns in der VReG forscht du in verschiedenen Bereichen. Von Zukunftsberichten bis hin zu Marktverhalten: Was macht forschen in der VReG anders als in deinen bisherigen Jobs? |
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Die Unterschiede liegen hauptsächlich darin, dass ich nicht mehr so tief in Themen einsteige und noch viel anwendungsorientierter arbeite. Es ist ein sehr facettenreicher Job. Ich beschäftige mich nicht nur rein mit der Analyse der Daten, sondern komme auch mit vielen Abteilungen in Kontakt und gestalte Projekte mit. Kommunikation ist unglaublich wichtig, damit die Analysen auch anwendungsbezogen sind und in Wirkung kommen. Man kann wunderbare Auswertungen machen, aber wenn sie zum falschen Zeitpunkt kommen, nicht adressatengerecht sind oder aus einem anderen Grund gerade nicht gebraucht werden, dann landen sie in der Schublade. Durch meine Erfahrungen in der Wissenschaft versuche ich aber immer wieder wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis mit einzubeziehen, über den Tellerrand zu schauen und neue Mehrwerte zu schaffen. Da das Berufsfeld der Data Scientisten noch relativ jung ist in der genossenschaftlichen Welt, gilt es auch hier wieder an sprachlichen Barrieren zu arbeiten, verschieden Fachrichtungen zusammen zu bringen und Verständnis zu schaffen. Also gibt es doch einige Parallelen zu meinen alten Jobs.
Können wir als VReG einen Beitrag leisten, um mehr junge Frauen zu empowern sich für eine Karriere in der Forschung zu interessieren? |
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Weibliche Rollenvorbilder in der Welt junger Menschen präsenter zu machen, ist vielleicht etwas, wozu auch die VReG einen Beitrag leisten könnte. Zum einen geht es dabei darum aufzuzeigen, dass es diese Frauen gibt. Zum anderen auch darum zu zeigen, dass die weibliche Sicht auf Dinge oft einen großen Mehrwert für alle bringen.
Außerdem ist finanzielle Unsicherheit, denke ich, auch ein Grund, weshalb viele Frauen (und auch Männer) sich irgendwann gegen die Forschung entscheiden. Denn gerade hier sitzt man oft für lange Zeit nur auf befristeten Verträgen. Wenn die VReG jungen Frauen in so einer Situation gezielt Lösungen aufzeigen könnte, wie eine finanzielle Absicherung aussehen kann, wäre das sicherlich auch ein hilfreicher Beitrag.